“Freundschaftshaus” als Leuchtfeuer des Aufbruchs

Foto: Dominik Durner
Günter Enßlin (fünfter von links) arbeitet zusammen mit den Auszubildenden der Ludwig-Bölkow-Berufsschule an einem Segment der Deckenplatte für das Freundschaftshaus.

von Dominik Durner

Rundherum herrscht noch immer Verwüstung, den Häusern in Marienthal, unweit von Bad Neuenahr, sieht man auch zehneinhalb Monate später an, was im Juli 2021 geschehen ist. Das Ahrtal wurde von einer schweren Flut getroffen, Existenzen stehen weiterhin vor dem Nichts. Auf dem Dorfplatz in Marienthal etwa gibt es laut Landrat Stefan Rößle heute noch täglich eine Essensausgabe, die Marienthaler können nicht in ihre Häuser zurück. Dort, auf dem Dorfplatz, soll es zum Jahrestag der Flut am 15. Juli ein Richtfest für das “Freundschaftshaus Marienthal” geben, für das Firmen aus dem Landkreis Donau-Ries zusammenarbeiten. Mittlerweile haben auch die Fertigungsschritte begonnen.

Nun ist es der 1. Juni, Ort ist die Berufsschule in Donauwörth, wo das Projekt vorgestellt wird. Hier entsteht bereits greifbar eines der Häusersegmente, unter der Leitung des Möttinger Zimmereiinhabers Günter Enßlin. “Ursprünglich sollte das Haus nur in der Berufsschule gebaut werden”, sagt Enßlin, der an der Bildungseinrichtung die Lehrlingswacht übernimmt. Anstatt der im September noch geplanten Maße von sechs auf zehn Meter wuchsen die Ausmaße aber schnell auf zehn Meter Breite und 14 Meter Länge, es wurde klar: Die Berufsschule hat nicht die notwendigen Kapazitäten.

Deshalb entschied Enßlin, Unterstützung ins Boot, beziehungsweise Haus, zu holen. Für das Projekt “Freundschaftshaus” konnten die Zimmereien Taglieber und Stark gewonnen werden. Enßlin und die Auszubildenden fertigen in der Berufsschule eines der Module: Seit dem 31. Mai zimmern und schleifen die Lehrlinge unter Enßlins Leitung an der Deckenplatte. Auf der steht der “Realisator”, wie er genannt wird, und zeigt auf einer Bauzeichnung auf, wie man sich den Rohbau letztlich vorstellen kann. “Die Deckenplatte fertigen wir hier seit gestern, die Firma Stark baut das Dach, Taglieber übernimmt die Innenwände”, sagt Enßlin. In der eigenen Schreinerei in Möttingen entstehen zudem die Außenwände, die Vision nimmt langsam Form an.

Als Schirmherr für diese Vision konnte Landrat Stefan Rößle gewonnen werden. Anfang April war Rößle selbst vor Ort, um sich persönlich ein Bild von der Verwüstung zu machen. Der Besuch wirkte: Die Mitreisenden erzählen im Nachhinein, den Landrat noch nie so still und in sich gekehrt gesehen zu haben. Er selbst sagt rückblickend: “Vor Ort war das noch viel beängstigender, viel schockierender, was so ein Flüsschen anrichten kann.” Denn auch Monate später steht immer noch viel an und aus. Für die Restaurierung der Häuser etwa müssen weiterhin immense Schäden aufgearbeitet werden, für die zunächst Ausschreibungen durchgeführt und Firmen für die Umsetzung gefunden werden müssen.

Beeindruckend findet der Schirmherr aber auch die anhaltende Hilfsbereitschaft vor Ort, ebenso wie aus weiter Ferne – worunter ebenfalls das Projekt “Freundschaftshaus Marienthal” fällt. Zum einen vonseiten der Initiatoren Ulrich Wenger und Jörg Wörle, die nach einer Hilfsfahrt im vergangenen Juli zu dem Entschluss kamen, das Projekt “Freundschaftshaus” auf den Weg zu bringen. Zum anderen hebt Rößle die zahlreichen Spenden hervor, die für dieses Projekt eingingen. “Die Errichtung ist mittlerweile komplett finanziert”, sagt Rößle. Lediglich die Inneneinrichtung sei noch nicht gedeckt.

Die soll spätestens im Oktober fertig eingerichtet sein, ab 11. Juli wird auf dem Marienthaler Dorfplatz der Rohbau aufgestellt. Mit dem Freundschaftshaus soll in der kleinen Ortschaft eine Aufbruchstimmung entstehen, allgemein möchten die Marienthaler ihren Ort komplett aufwerten, sagt Stefan Rößle: “Dort ist eine erneuerbare Heizzentrale geplant, weg von den Ölheizungen, die bei der Flut ausgelaufen waren. Faszinierend ist auch die Einstellung vor Ort: ‘Jetzt ist das passiert, jetzt können wir es aber auch besser machen als vorher’.”

Für Günter Enßlin ist deshalb auch klar: Das Freundschaftshaus wird ein gemeinsamer Begegnungsort. Es solle eine Möglichkeit sein, sich zu treffen und Feste zu feiern. Und wenn im Oktober dann neben dem fertigen Freundschaftshaus auch das neue Heizhaus auf dem Dorfplatz stehen wird, ist für Landrat Rößle klar: “Da sind welche, die an euch denken.” Und wenn dort die Hilfe aus dem 430 Kilometer entfernten Landkreis Donau-Ries zu sehen ist, ist das vielleicht noch einmal ein Leuchtfeuer für den mühsamen und schleppenden Neuaufbau.

Info Spenden können an die Hochwasserhilfe Marienthal e.V. überwiesen werden. Wer speziell für das Freundschaftshaus spenden möchte, soll dies als Verwendungszweck angeben. IBAN: DE92 3705 0198 1935 9558 96.